Interview mit Austin James, einem aufstrebenden US-Rennfahrer bei der Rallye Dakar 2021
„Dakar erfordert jede Menge Denkarbeit, nicht nur das bloße Rasen durch die Wüste. Es ist kompliziert.“
Wir unterhielten uns mit dem aufstrebenden US-Rennfahrer Austin Jones während seiner letzten Vorbereitungen auf die 2021er Ausgabe der Rallye Dakar in Saudi-Arabien. Austin Jones, der von Phoenix im US-Bundesstaat Arizona aus mit uns sprach, fährt bei seinem zweiten Auftritt bei der Rallye Dakar für den Rennstall Monster Energy Can-Am.
Ermutigt von einigen guten Ergebnissen bei europäischen Rallye-Veranstaltungen mit seinem Maverick in diesem Jahr unterhielt sich Jones mit uns über seine Vorbereitungen auf Dakar, über sein Rezept für glückliche Mechaniker, über das Wesen seines Jobs sowie darüber, wie das Konzept der Rallye Dakar sein Niveau als Rennfahrer in Nordamerika verbessert hat.
Can-Am: Wie laufen die Dinge dort drüben, Austin?
A. J.: Es sieht wirklich gut aus. Ich bin gerade dabei, alles unter Dach und Fach zu bringen, bevor wir abreisen.
Die Zeit drängt! Können Sie sich drüben in den USA während des Jahres irgendwie auf die Rallye Dakar vorbereiten?
A. J.: Oh ja, sicherlich. Wir üben sehr viel draußen in den Dünen. Wir verfügen hier in Phoenix über ein zweites Exemplar unseres Rennwagens. Wir fahren damit in die Dünen hinaus und trainieren ausgiebig den Einsatz von Streckenbüchern. Es gibt sogar jede Menge Leute hier, die für uns Streckenbücher für Nevada, Arizona etc. erstellen. Wir trainieren also jede Menge vor Ort und versuchen, möglichst viele Kilometer zu absolvieren, um unsere Fahrpraxis zu maximieren.
Und waren Sie zu Testzwecken während des Jahres schon in Europa?
A. J.: Ja. Ich hatte die Gelegenheit, Europa zu besuchen. Ich absolvierte erst neulich im Oktober eine Rallye in Spanien und im benachbarten Portugal nahm ich die Spezialwerkstatt South Racing unter die Lupe. Ich habe in Europa die neuen Fahrzeuge des Monster Energy-Rennstalls auf Herz und Nieren getestet. Sie laufen hervorragend.
Dies wird Ihre zweite Rallye Dakar sein. Wie fühlen Sie sich kurz vor Ihrer zweiten Teilnahme?
A. J.: Ich bin schon ziemlich gespannt. Vor allem deshalb, weil ich inzwischen mit dem Austragungsland Saudi-Arabien vertraut bin; ich kenne die Abläufe der Rallye jetzt viel besser; ich weiß, wie die Rallye Dakar organisiert ist und wie ich fahren muss. Ich würde fast sagen, dass ich das ganze Jahr lang an nichts anderes gedacht habe, als dorthin zurückzukehren und es erneut zu versuchen. Wir haben viel über alles nachgedacht und sind jetzt vor der zweiten Teilnahme viel zuversichtlicher, denn wir wissen jetzt genau, was uns erwartet. Kurzum, wir sind sehr zuversichtlich. Wir sind schon gespannt.
Wie funktioniert die Abstimmung zwischen Ihnen als Fahrer einerseits und Ihrem Beifahrer Gustavo Gugelmin mit dem Streckenbuch andererseits? Dauert es eine Weile, bis man als eingespieltes Team agiert?
A. J.: Ja, es verhält sich genau wie mit allem anderen. Soll heißen, zu Beginn ist man etwas nervös und so, aber sobald man nach etwa 20 km den Dreh raus hat, läuft alles reibungslos wie am Vortag. Die Dinge fangen an zu fließen, es stellt sich ein angenehmer Rhythmus ein und die Dinge ergeben einen Sinn. Es dauert also definitiv ein wenig, bis man wieder richtig drin ist. Aber ich würde sagen, dass wir nach etwa 20 km am ersten Tag wieder unseren eigenen Rhythmus finden werden.
Das ist toll. Helfen Ihnen Gebetbücher bei der Herangehensweise an eine noch unbekannte Strecke? Kann man so die Notizen und das Streckenbuch beschreiben?
A. J.: Ja, hundertprozentig. Sie liefern uns jede Menge wichtiger Informationen, die weit über Offensichtliches hinausgehen. Keine Frage, sie helfen uns enorm, nicht zuletzt bei Gefahren. Manchmal sieht es zwar ganz gut aus, aber mein Beifahrer sagt mir, es bestünde doppelte oder gar dreifache Gefahr. Dann wissen wir, dass die Strecke erheblich heimtückischer ist als man meinen möchte, und wir fahren entsprechend vorsichtig. Die Notizen sind also wirklich einer der Schlüssel zum Erfolg. Es ist unheimlich wichtig, über verlässliche Notizen zu verfügen und diese vom Beifahrer gut vermittelt zu bekommen.
Ist die Notwendigkeit, konsistent jeden Tag gute Ergebnisse zu erzielen, einer der schwierigeren Aspekte der Rallye Dakar? Oder gibt es andere Dinge, die für Sie eine noch größere Herausforderung darstellen?
A. J.: Ja, ich würde auch sagen, es kommt auf die Konsistenz an. In der Lage zu sein, schnell zu fahren und zwölf Tage hintereinander auf einer Strecke von, sagen wir, je 250 km keine Fehler zu machen. Deshalb bedeutet jeder Tag i. d. R. eine geistige und körperliche Erschöpfung. Man darf sich wirklich keinerlei Ausrutscher erlauben. Man muss so konsistent wie möglich sein.
Einer der wichtigsten Aspekte der Rallye besteht darin, jeden einzelnen Tag eine konsistente Leistung zu erbringen, denn ich weiß, dass 90 Prozent der Teilnehmer auch mal einen schlechten Tag erwischen. Es wird irgendetwas Unvorhergesehenes passieren. Die Kunst besteht also darin, diese schlechten Tage auf ein Minimum zu reduzieren und möglichst konsistent zu sein.
Wenn während des Rennens etwas kaputtgeht, werden es die Mechaniker erfahren. Wie halten Sie diesen Druck zwölf Tage hintereinander aus?
A. J.: Die finden wirklich alles raus. Wenn wir zum Biwak zurückkommen, fragen sie gleich: „Ist irgendetwas passiert? Etwas, das wir uns anschauen sollten?” So in der Richtung. Und ich sage dann z. B.: „Ja, es tut mir leid, aber ich habe den Querlenker hier beschädigt. Tut mir echt leid, mein Freund. Ich weiß, ihr müsst das leider reparieren. Mea culpa.”
Je besser ich sie behandle, umso hilfsbereiter sind sie mir gegenüber. Das ist etwas, was ich wirklich sehr schätze an meinem Team: Jeder einzelne im Team gibt sein Bestes – klasse Leute. Und wir kommen sehr gut miteinander aus. Deshalb weiß ich auch, dass wir jeden Tag aufs Neue ein wahrlich gutes Fahrzeug haben, wenn wir die Starlinie überqueren.
Was machen Sie, um ein so langes Rennen durchzustehen, wenn Sie gerade mal nicht hinter dem Lenkrad sitzen?
A. J.: Ich freue mich immer, zum Biwak zurückzukehren. Diese Rallyes sind verrückt, denn wenn Sie dort draußen in der Mitte von nirgendwo herumkurven, meldet sich Ihre etwas primitivere Seite: Alles, wonach Sie sich sehnen, ist ein komfortables Bett, gutes Essen und anschließend eine Dusche!
Selbst dort im fernen Saudi-Arabien fühlt man sich wie zuhause, solange diese einfachen Bedürfnisse erfüllt sind. Das hilft meiner Psyche enorm. Und dazu noch meine Lieblingsmusik und so … Wir versuchen einfach, uns zu beruhigen und nicht von der Verrücktheit des Rennens anstecken zu lassen.
Und wenn während des Rennens etwas Verrücktes passiert oder kaputtgeht … wie gehen Sie damit um? Schreien Sie in Ihren Helm? Wie läuft das?
A. J.: [Gelächter] Oh ja, in der Hitze des Gefechts fallen bestimmte Wörter, in der Regel ziemlich laut. Mein Beifahrer kennt mich schon. Er weiß: „Ok, Austin wird jetzt eine Minute lang ausflippen. Aber sobald er mit dem Ausflippen fertig ist, konzentrieren wir uns gleich wieder aufs Wesentliche.“
In solchen Situationen sitzen wir einfach nur dort und denken uns, „Echt?! Kaum zu fassen, dass uns das passieren konnte!“ Und was sollen wir jetzt machen? Wir sitzen einfach dort und erfassen schnell unsere Lage. Dann beginnen wir sofort mit der Reparatur des Fahrzeugs. Wir holen die Werkzeuge heraus und passen uns einfach der Herausforderung an, um sie überwinden zu können. Wir tun, was nötig ist, um ins Ziel zu kommen, und dies so schnell wie möglich.
Wir haben keine Zeit, herumzusitzen und ohne Ende wie ein Rohrspatz zu schimpfen. Jede Sekunde, die wir mit dem Ausflippen vergeuden, ist eine weitere Sekunde, die uns von der Ziellinie trennt, also wertvolle Zeit.
South Racing entwickelt den Maverick schon seit einigen Jahren weiter. Sind es heute noch dieselben Rennwagen wie bei der Rallye Dakar 2017/2018?
A. J.: Ich glaube, es ist jetzt schon das dritte Jahr, dass ich mit South Racing zusammenarbeite. Und es ist wirklich beeindruckend, wie sehr sich die Fahrzeuge weiterentwickelt haben. Sie werden immer besser.
Als ich in Portugal die Werkstatt besuchte, wo sie die Wagen vorbereiten, merkte ich, wie viel harte Arbeit dies erfordert. Und ich sah das Reißbrett mit all den Änderungen. Ich sah die Spezifikationen des Wagens der ersten Generation aus dem Jahr 2017/2018. Und jetzt die Spezifikationen des Wagens für die Rallye 2020/2021. Es ist unglaublich, wie viel Aufwand, Forschung und Entwicklung sie in den aktuellen Wagen gesteckt haben.
Auch in ganz kleine Details, denen man gar keine Bedeutung beimessen würde. Aber die Summe von zehn solchen klitzekleinen Details kann einen enormen Fortschritt bedeuten. Sie entwickeln den Wagen unablässig weiter. Es ist beruhigend, einem Team anzugehören, das derart viel Zeit und Energie investiert, um unsere Fahrzeuge zu perfektionieren.
Können Sie – ohne Betriebsgeheimnisse zu verraten – ein Beispiel eines solchen kleinen Details nennen, das seit der ersten Generation im Laufe der Jahre verbessert oder abgeändert wurde?
A. J.: Das gesamte Erscheinungsbild des Wagens, konkret etwa die Lufthutze auf der Motorhaube und das Design des Überrollkäfigs. Als ich mit dem Rennsport begann, waren die Wagen sehr hoch. Inzwischen sehen sie deutlich niedriger aus; das aktuelle Design ist ein wenig windschnittiger. Das könnte sogar die Geschwindigkeit erhöhen. Solche Aspekte also.
Faszinierend. Welche Ihrer in Übersee gemachten Rallyeerfahrungen konnten Sie bereits in Ihre nordamerikanischen Rennen einfließen lassen? Haben Sie Ihren Ansatz in irgendeiner Weise geändert?
A. J.: Oh ja, sicherlich. In Nordamerika haben wir keine mehrtätigen Rennen. Das Rennen dauert nur einen Tag, ein enormer Unterschied. Wir können uns nicht Dinge einreden wie etwa: „Ok, dann holen wir sie eben morgen ein“ oder „Heute haben wir zwar einen schlechten Tag erwischt, dafür wird der morgige aber umso besser“. Das Motto lautet einfach nur: „Fahren, als gäbe es kein Morgen“!
Die Folge davon ist, dass die Wagen leichter kaputtgehen, je schneller man unterwegs ist. Der Einfluss meiner Überseeerfahrungen zeigt sich darin, dass ich z. B. die Baja 1000 geistig in, sagen wir, vier Etappen von jeweils 400 km aufteile. Wir absolvieren also einzelne Etappen: Ok, jetzt haben wir z. B. die Strecke von diesem Abschnitt bis zu jenem Abschnitt absolviert. Die Unterteilung von Rennen in einzelne Etappen ist eines der Dinge, die ich bei meinen Rallyes in Übersee gelernt habe und die mir auch in Amerika enorm helfen.
Wenn man schon eine Etappe in den Sand gesetzt hat, kann man dies wenigstens geistig abhaken und die nächste Etappe in Angriff nehmen.
AJ: Ja, genau. So nach dem Motto: „Wir mögen hier eine Minute verloren haben, dafür haben wir dort eine Minute gewonnen.“ Dies erlaubt es uns, die nächste Etappe mit einer Strategie anzugehen, die wir jederzeit anpassen können: „Die letzte Etappe haben wir sehr schnell absolviert, deshalb sollten wir vielleicht die nächsten 400 km etwas langsamer angehen.“ Und vor der übernächsten sehen wir schon, wie wir dastehen.
Oder ein anderes Beispiel: Wir hatten einen Platten und haben deshalb fünf Minuten verloren. Lasst uns also während der nächsten 400 einen Zahn zulegen. Wir haben also in der Tat enorm davon profitiert, gelernt zu haben, wie man ein Rennen in Teilstrecken aufteilt. All das dank unserer Rallyeerfahrungen.
Haben Sie auch Freunde oder Angehörige, die mit der Welt der Rallye Dakar nichts anfangen können und Sie fragen: „Was machst du da überhaupt?!“ Wie erklären Sie ihnen, womit Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen?
A. J.: Von meinen Eltern abgesehen sind sich keine meiner Freunde, mit denen ich aufwuchs und zur Schule ging, wirklich bewusst, was ich mache. Ich zeige ihnen die Landkarte und sie fragen mich erstaunt: „Du legst diese Riesenstrecke zurück? Du durchquerst das ganze Land?“
Und ich antworte: „Sicher doch!“ Sie fragen weiter: „Und du fährst Tag für Tag?“
Für viele Leute in Nordamerika ist dies wirklich ein fremdes Konzept. Deshalb ist es schwer zu vermitteln, aber sie verstehen es, sobald ich ihnen die Landkarte zeige und all diese Dinge erkläre. Ich ziehe gerne Vergleiche zur Tour de France. So verstehen viele Leute auch die Rallye Dakar.
Wie könnte man Leuten den Rallyesport besser verständlich machen?
A. J.: Meiner Ansicht nach sollte man darauf hinweisen, dass dieser Sport den Fahrern geistig viel mehr abverlangt als die Leute denken. Es ist also nicht damit getan, einfach nur mit dem Wagen herumzufahren. Selbstverständlich haben die Position eines Wagens in der Wertungsprüfung, ein aggressiver Fahrstil sowie das Talent eines Fahrers große Bedeutung. Darum dreht sich der Rennsport im Grunde.
Dennoch zählt auch die mentale Stärke, z. B. in der Lage zu sein, konsistent zu fahren und die Ruhe zu bewahren, selbst wenn nicht alles perfekt läuft.
In der Lage zu sein, auf neue Situationen schnell und richtig zu reagieren. Sagen wir, die Bremskraft lässt nach oder die Lenkung ist unpräzise – dann gilt es, sich anzupassen und damit fertig zu werden. Der Fahrer sollte also viel mehr draufhaben, als lediglich seinen Wagen schnell fahren zu können. So muss er beispielsweise gut darin sein, das Verhalten seines Fahrzeugs bei bestimmten Manövern vorherzusehen.
Es erfordert jede Menge Denkarbeit, nicht nur das bloße Rasen im Wagen durch die Wüste. Es ist kompliziert.